Die erste Hürde ist genommen, der Umweltausschuss der Stadt Tornesch hat den Entwurf des Radverkehrskonzeptes (RVK) mehrheitlich gebilligt. Dieser wird nun am Dienstag, dem 24. Januar, der Öffentlichkeit vorgestellt, die dann die Möglichkeit bekommt, Änderungen anzuregen. Im März soll das Konzept final abgestimmt und von der Ratsversammlung bestätigt werden.

Was ist ein RVK?

Ein RVK beschreibt die Vision eines zukünftigen Radverkehrsnetzes und die Maßnahmen zu ihrer Umsetzung. Dabei gliedert sich das RVK üblicherweise in die Schritte:

  1. Identifizieren der Quell- und Zielverkehre sowie des daraus entstehenden Bedarfs für ein Radverkehrsnetz
  2. Identifizieren von Konfliktpunkten entlang des Radverkehrsnetzes, also Punkte, an denen es zu Konflikten zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern (Kfz-Verkehr, Radverkehr, Fußverkehr) kommen kann oder bereits kommt
  3. Definieren von Qualitätsstandards, z. B. Mindestbreiten von Fahrradstraßen, Mindestanforderungen an Abstellanlagen
  4. Erarbeiten konkreter Vorschläge für Maßnahmen an den Konfliktpunkten und entlang der Radverkehrsrouten
  5. Beschreiben von Maßnahmen für Serviceangebote, z. B. sichere Abstellanlagen, Reparaturstationen
  6. Planen begleitender Öffentlichkeitsarbeit, z. B. Info-Flyer, die über die veränderte Verkehrsführung informieren
  7. Planen von Personalbedarf zur Umsetzung und Fortschreibung des Konzeptes

Die Maßnahmen sollen anschließend politisch abgestimmt und priorisiert werden, damit die Verwaltung diese effizient umsetzen kann. Das RVK stellt also eine Empfehlung dar, die Handlungsoptionen aufzeigt, die Verwaltung und Politik dann umsetzen können.

Hauptrouten: Die Hauptrouten verbinden die wichtigsten Quellen und Ziele des Radverkehrs, sowohl innerorts als auch zu unseren Nachbarorten. Ebenfalls zu sehen sind hier der Radschnellweg Elmshorn-Hamburg sowie die Veloroute Uetersen-Tornesch, die in 2023 endlich umgesetzt werden soll. (Quelle: Radverkehrskonzept der Stadt Tornesch / OpenStreetMap)

In Tornesch bildete der Umweltausschuss hierzu ein Gremium, das mit der Erarbeitung eines RVK-Entwurfes beauftragt wurde. Dem Gremium gehörten alle Ratsfraktionen (CDU, FDP, Grüne, SPD), Mitarbeitende des Amtes für Bauen, Planung und Umwelt sowie des Ordnungsamtes, der kommunalen Arbeitsgemeinschaft Rad.SH, des Kreises Pinneberg sowie jeweils ein Vertreter der Schülerschaft und unserer ADFC-Ortsgruppe an.

Unfallschwerpunkte in Tornesch zwischen 2017 und 2021
Heatmap: Die Unfallschwerpunkte in Tornesch (nur unter Beteiligung von Radfahrenden, 2017-2021) decken sich sehr genau mit den identifizierten Konfliktpunkten und liegen zum Großteil auf den Hauptrouten des Radverkehrsnetzes. (Quelle: Radverkehrskonzept der Stadt Tornesch / OpenStreetMap)

Welche Ziele sollen mit dem RVK erreicht werden?

Alle erarbeiteten Maßnahmen sollen auf das Ziel einzahlen, den Radverkehr attraktiver und für möglichst viele Menschen zu einer Alternative zum motorisierten Individualverkehr (MIV) zu machen. Konkret wurden diese Ziele vereinbart:

  • Der Stadtkern soll vom MIV entlastet werden.
  • Der Radverkehrsanteil (Modal Split) soll von aktuell etwa 15 % auf ambitionierte 30 % erhöht werden, d. h. 30 % aller Wege in Tornesch sollen zukünftig mit dem Rad zurückgelegt werden (Radstrategie Schleswig-Holstein 2030).
  • Das Radfahren in Tornesch soll sicherer werden, schwere oder gar tödliche Unfälle soll es nicht mehr geben (Vision Zero).
  • Das RVK soll die Akquise von Fördermitteln erleichtern und als Basis für die Abstimmung verkehrsrechtlicher Anordnungen durch den Kreis dienen.

Warum braucht Tornesch ein RVK?

In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Initiativen für den Radverkehr. Diese waren allerdings sehr kleinteilig und nicht Teil eines übergreifenden Gesamtkonzeptes. Das führte leider nicht selten dazu, dass diese Initiativen bereits in den Ausschusssitzungen zerredet und verworfen wurden.

Aber selbst wenn eine Initiative die erste Hürde nahm, musste diese auch finanziert werden und von der Straßenverkehrsbehörde des Kreises angeordnet werden. Eine Stadt mit weniger als 20.000 Einwohnenden kann verkehrsrechtliche Anordnungen nicht selbst vornehmen, sondern ist dabei auf den Kreis angewiesen. Konkret bedeutet das, dass Tornesch selbst nicht einmal eine Fahrradstraße auf einer Gemeindestraße anordnen kann.

Mittlerweile ist es so, dass sowohl Fördergeber als auch Straßenverkehrsbehörden ein RVK voraussetzen. Sie möchten keine punktuellen Einzelmaßnahmen fördern, sondern sehen, dass die beantragende Stadt – salopp ausgedrückt – einen Plan hat.

Welche Verbesserungen bringt uns das RVK?

Das RVK enthält aus Sicht des ADFC sehr viele gute Maßnahmen, die das Radfahren in Tornesch komfortabler und sicherer machen können – und zwar für alle und unabhängig vom Alter. Wenn das Radfahren in Tornesch attraktiver wird, werden Verkehre vom MIV auf das Fahrrad verlegt (Modal Shift). Dadurch reduziert sich nicht nur der Flächenverbrauch des MIV, auch Staus, Lärm und die Luftbelastung nehmen dadurch ab.

Fast alle Ziele innerhalb Torneschs sind mit dem Fahrrad in weniger als 10 Minuten zu erreichen. Das Potenzial ist also groß.

Auch Qualitätsstandards für Radinfrastruktur werden im RVK definiert und sollen als Richtlinie für die Verwaltung und Kommunalpolitik dienen. Das sorgt auch dafür, dass die Infrastruktur konsistenter und damit für alle Verkehrsteilnehmenden verständlicher wird.

An der Einmündung der Jürgen-Siemsen-Straße ist die Uetersener Straße für alle Verkehrsteilnehmenden sehr unübersichtlich. Hier schlägt das Gremium eine Kombination aus Schutzstreifen, Fahrradstraße (Teil der Veloroute Oha-Tornesch-Uetersen) und geordnetem Parken vor.

Konkret enthält das RVK für Tornesch Maßnahmen wie die Einrichtung von Fahrradstraßen, die vor allem die Schulwege sicherer machen sollen. Außerdem wird die Einrichtung von Tempo-30-Bereichen überall dort empfohlen, wo eine bauliche Trennung von Kfz- und Radverkehr nicht möglich ist, z. B. in der Friedrichstraße. Hier kommt es häufig zu brenzligen Situationen. Nämlich dann, wenn sich zu Fuß Gehende und Radfahrende auf dem viel zu schmalen Gehweg begegnen. Viele Radfahrende fühlen sich in der Friedrichstraße auf der Straße nicht sicher. Eine Verringerung der Differenzgeschwindigkeiten kann hier zu höherer Sicherheit führen.

Wie geht es jetzt weiter?

Am Dienstag, dem 24. Januar, wird eine Öffentlichkeitsveranstaltung stattfinden, die allen interessierten Bürgern und Bürgerinnen die Möglichkeit gibt, Eingaben zu machen und sich so am RVK zu beteiligen. Die Veranstaltung beginnt um 17 Uhr in der Mensa der Klaus-Groth-Schule. Auch sogenannte „Träger öffentlicher Belange“, das sind behördliche Institutionen, aber auch Interessensvertretungen (z.B. ADAC, BUND, VCD, Kreis Pinneberg), wurden dazu aufgerufen, Eingaben zum RVK machen.

Diese Eingaben sind dann anschließend vom Umweltausschuss zu bewerten und können noch in das RVK aufgenommen werden. Verabschiedet werden soll das RVK dann am 20. Februar.

Zum Schluss muss das RVK dann noch in der Ratsversammlung beschlossen werden, dafür ist die Sitzung am 28. März vorgesehen.

Mit dem Beschluss werden aber nicht automatisch alle Maßnahmen umgesetzt. Die Maßnahmen werden priorisiert und müssen dann vor ihrer konkreten Umsetzung vom Bau- und Planungsausschuss beschlossen und vom Finanzausschuss mit den notwendigen Mitteln im Haushalt versehen werden. Einige der Maßnahmen sind kurzfristig, d.h. innerhalb der nächsten zwei Jahre umsetzbar, andere dürften selbst bei optimistischer Schätzung eine Umsetzungszeit von bis zu fünf Jahren benötigen.

Wir als ADFC haben uns dafür ausgesprochen, auch nach der Ratsversammlung im März ein Gremium zu etablieren, dass die Umsetzung begleitet, Maßnahmen bewertet und bei Bedarf Änderungen vorschlagen kann. Realistisch betrachtet kann heute niemand vorhersehen, wie sich die Bedarfe verändern werden und ob alle Maßnahmen zum erhofften Erfolg führen. Immerhin soll sich der Radverkehrsanteil in den nächsten acht Jahren verdoppeln.

Alles gut, oder?

Leider nein.

Wir haben die Zusammenarbeit im Gremium als sehr konstruktiv und immer auf Augenhöhe wahrgenommen und gehofft, dass sich eine breite Mehrheit hinter das RVK stellen wird. Die Tatsache, dass dessen Billigung aber nur mit einer knappen Mehrheit erfolgt ist, macht uns Sorgen.

Alle Tornescher Parteien haben bei der letzten Kommunalwahl versprochen, den Radverkehr fördern zu wollen. Sie werden es mit Sicherheit auch bei der nächsten Wahl im Mai wieder tun. Aber warme Worte und Solidaritätsbekundungen bringen uns keinen Millimeter voran. Wir erwarten, dass den Worten nun auch Taten folgen und die Tornescher Ratsfraktionen das RVK mit aller Kraft vorantreiben und ihre Versprechen einlösen werden.

Früher oder später muss die Politik sich mit der Frage der Flächengerechtigkeit auseinandersetzen und zu sich selbst und zu ihren Wählern und Wählerinnen ehrlich sein. Denn der Platz ist endlich und die Anzahl der Autos nimmt noch immer zu. Wer es ernst meint mit der Verkehrswende, muss Haltung zeigen, selbst wenn es für kurzfristige politische Ziele nicht opportun erscheint. Es ist schlicht nicht möglich, den Radverkehr und andere umweltfreundliche Verkehrsträger zu fördern, ohne den Flächenverbrauch des Kfz-Verkehrs zu hinterfragen.

Die verhandelte Version des RVK findet ihr auf der Homepage der Stadt oder auf unserem Nextcloud-Server (Die Datei ist sehr groß!).


Thorsten Mann

„Gib einem Menschen einen Fisch, und er kann sich einen Tag ernähren. Lehre einem Menschen das Fischen, und er kann sich sein Leben lang ernähren. Lehre einem Mann das Radfahren, und er merkt, dass das Fischen ein langweiliger Zeitvertreib ist.“ – Desmond Tutu